Noch etwas erschlagen vom gestrigen Zastavatreffen machen wir uns auf den Weg nach Zürich. Es ist kühler geworden, das Wetter hat umgeschlagen. Wir versuchen wieder einmal, die Autoheizung in Gang zu bringen. Sie bleibt ein Mysterium. Dabei gibt es der Einfachheit halber nur einen blauen und eine roten Schieberegler für kalt und warm, idiotensicher. Denkste! Es ist stets reine Glückssache, ob die Lüftung so arbeitet, wie wir uns das wünschen.
Wir erreichen am Nachmittag ein typisches Wohngebiet im Norden Zürichs, Quader aus Glas und Beton. Dazwischen kleine Rasenstücke mit Spielplätzen und Klettergerüsten, die von Kindern bevölkert sind. Hier oben sieht alles irgendwie nach alter BRD aus, was sich wohltuend abhebt zu den Gewerbegebiets-Zwischenwelten entlang der Verbindungsstraße zwischen Winterthur und Zürich.
Im ersten Stock eines der Häuser wohnen Draga und Velibor mit ihren drei Töchtern und einem Sohn. Wir machen es uns im Wohnzimmer gemütlich, hinter dem riesigen Sofa durchschneidet eine Fensterfront die Wände und gibt den Blick nach draußen frei. Die beiden kleineren Kinder beobachten die Szenerie vom Flur aus. Immer wieder taucht ein schüchterner halber Kopf hinter der Türkante auf. Auf Wunsch von Dragas und Velibor haben wir die Kamera diesmal im Koffer gelassen.
Beide kommen aus Montenegro. Draga wurde 1968 in Mojkovac, Velibor 1967 in Bijelo Polje geboren. Beide leben seit Anfang der 90er Jahre in der Schweiz. Wie die meisten ihrer Landsleute wollten sie ursprünglich nur kurz hier bleiben und kamen dann von heute auf morgen nicht mehr zurück in ihr Land.
Draga, Du bist 1991 in die Schweiz gekommen. Wieso hast Du damals dein Land verlassen?
Draga: Nach meiner bestandenen Aufnahmeprüfung wollte ich vor dem Studium noch ein bisschen in der Schweiz arbeiten und in einem Frisörladen Geld verdienen. Mitte Juni 1991, das weiß ich noch, kam ich hier an. Ab September ´91 gab es keinen Weg mehr zurück nach Jugoslawien. Alles war versperrt durch den Krieg. Kurz danach habe ich meinen Mann getroffen, ihn geheiratet und bin geblieben.
Velibor, du lebst seit 1990 in der Schweiz. Dachtest du auch, dass du nur kurz bleiben würdest?
Velibor: Ja, ich wollte 2,3 Jahre arbeiten und dann wieder zurückgehen. Aber dann kam der Krieg, und ich bin geblieben. Bis heute bin ich in derselben Firma, in der ich damals auch angefangen habe.
Gab es in Euren Familien einen Zastava?
Draga: Ja, mein Onkel hatte einen Fica. Er hat uns immer herum gefahren, zu jedem Fest. Wir haben uns teilweise mit sechs, sieben Personen reingequetscht. Es gab da eine lustige Begebenheit im Winter: Er hatte für den Fica eine Garage, die war vielleicht 100 Meter vom Haus entfernt. Einmal, es war Winter und tiefer Schnee, kam er ohne Jacke nach Hause. Wir Kinder, vielleicht 13 Jahre alt, waren neugierig und haben uns gefragt: Wieso kommt der ohne Jacke nach Hause? Ich habe seine Tochter gefragt: Ist dir das aufgefallen, dass er ohne Jacke unterwegs ist? Es war sehr kalt an dem Tag. Und wir sahen nur eine Fußspur von der Garage zum Haus. Das Auto hatte er also gar nicht bewegt, die Straßen waren auch nicht gekehrt oder gestreut. Wir haben uns dann zur Garage geschlichen. Ich weiß noch, es war sehr neblig. Als wir ins Auto schauten, sahen wir eine hübsche, junge Frau liegen, schlafend, zugedeckt mit der dicken Eisenbahnerjacke meines Onkels. Er hatte dort seine Liebhaberin versteckt!
Velibor: Mein Vater hatte immer eine Zastava gehabt. Erst den 128, dann den 130er, einen etwas größeren. Er ist bis zu seinem Tod immer Zastava gefahren.
Hat der Zastava für euch heute noch eine emotionale Bedeutung, wenn ihr ihn auf der Straße seht?
Velibor: Ja, das kann man sagen.
Draga: Die Cousine von meinem Mann war hier zu Besuch vor zwei Jahren im Dezember. Wir waren mit ihr in Seefeld und da stand ein Fiat. Sie war völlig aus dem Häuschen. „Da steht ein Fica!“, hat sie gerufen. „Da hat jemand einen Fica!“ Das war natürlich eine Verwechslung.
Velibor: Ja, man sieht hier immer mal wieder einen Zastava auf der Straße aber es ist sehr selten geworden
Ihr seit damals aus einem einheitlichen Jugoslawien weggegangen. Fühlt ihr euch heute als Jugoslawen oder Montenegriner?
Draga: Wenn jemand mich fragt, welche Sprache ich spreche, sage ich serbisch-kroatisch. Das bleibt immer. Die Kroaten sagen jetzt, wir sprechen kroatisch, die Montenegriner sprechen jetzt plötzlich montenegrinisch, die Bosnier bosnisch... für mich existiert das nicht. Es bleibt für mich das, was es war – serbo-kroatisch.
Wir kennen sehr viele Leute aus Ex-Jugoslawien. Alle sagen, am schönsten war es vor dem Krieg. Jetzt ist es nirgendwo gut. Früher gab es keine obere und untere Schicht. Alle waren gleich. Jeder hatte seine Wohnung oder sein Haus. Jeder hatte einen guten Lohn.
Velibor: Wenn man zum Beispiel angestellt war in einer Firma, dann wurden 20 Franken, das waren damals 2 Dinar, einbehalten. Dafür hat man dann von der Firma eine Wohnung oder ein Haus bekommen. Das gehörte einem auch dann noch, wenn man die Firma verlassen hatte. Das war wirklich ein gutes System.Und wenn einer angestellt war, dann war seine ganze Familie auch über ihn versichert. Nicht wie in der Schweiz: hier zahlt jeder seine Versicherung selbst.
Wir haben festgestellt, dass viele, die in den 80 Jahren aus Jugoslawien in die Schweiz gekommen sind gar nicht so genau wissen, wohin sie eigentlich gehören, die Schweiz, Jugoslawien oder Bosnien oder Serbien. Geht es euch auch so?
Draga: Ja, wir wissen nicht, was wir sind in Montenegro. Alles ist fremd. Für uns zwei ist alles fremd. Die neue montenegrinische Fahne können wir noch nicht akzeptieren, Montenegro können wir noch nicht akzeptieren. Für uns war alles zusammen, als wir gegangen sind und in uns ist das so geblieben.
Velibor: Wenn man aufgewachsen ist in einem Land, in dem alle gut zusammen gelebt haben und dann ist plötzlich alles anders, dann fühlst du dich nicht mehr komplett. Es gibt jetzt eine Republik Montenegro, aber das ist nicht mehr das Land, das ich kenne.
Draga: Was mir gefällt an eurem Projekt, das ist dieser Begriff Yugo. „Jugo“ galt ja mal als rassistisches Wort in der Schweiz. Ihr dürft das benutzen, wir erlauben euch, das Wort zu benutzen. Und wir dürfen es sagen, wir dürfen es laut sagen. Für mich ist es gar kein rassistisches Wort mehr. Warum sollte es jemanden verletzen? Was ist geblieben von Jugoslawien? Es ist dieses „Jugo“. Wir sind „Jugos“. Und diese Bezeichnung und dieses Auto verbinden das super. Das ist für mich das Besondere am Projekt, diese Verbindung Yugo-Jugo. Wenn ihr jemals ein Theaterstück mit dem Auto macht, dann muss es aber ein Yugo sein, kein Stojadin.
Noch etwas erschlagen vom gestrigen Zastavatreffen machen wir uns auf den Weg nach Zürich. Es ist kühler geworden, das Wetter hat umgeschlagen. Wir versuchen wieder einmal, die Autoheizung in Gang zu bringen. Sie bleibt ein Mysterium. Dabei gibt es der Einfachheit halber nur einen blauen und eine roten Schieberegler für kalt und warm, idiotensicher. Denkste! Es ist stets reine Glückssache, ob die Lüftung so arbeitet, wie wir uns das wünschen.
Wir erreichen am Nachmittag ein typisches Wohngebiet im Norden Zürichs, Quader aus Glas und Beton. Dazwischen kleine Rasenstücke mit Spielplätzen und Klettergerüsten, die von Kindern bevölkert sind. Hier oben sieht alles irgendwie nach alter BRD aus, was sich wohltuend abhebt zu den Gewerbegebiets-Zwischenwelten entlang der Verbindungsstraße zwischen Winterthur und Zürich.
Im ersten Stock eines der Häuser wohnen Draga und Velibor mit ihren drei Töchtern und einem Sohn. Wir machen es uns im Wohnzimmer gemütlich, hinter dem riesigen Sofa durchschneidet eine Fensterfront die Wände und gibt den Blick nach draußen frei. Die beiden kleineren Kinder beobachten die Szenerie vom Flur aus. Immer wieder taucht ein schüchterner halber Kopf hinter der Türkante auf. Auf Wunsch von Dragas und Velibor haben wir die Kamera diesmal im Koffer gelassen.
Beide kommen aus Montenegro. Draga wurde 1968 in Mojkovac, Velibor 1967 in Bijelo Polje geboren. Beide leben seit Anfang der 90er Jahre in der Schweiz. Wie die meisten ihrer Landsleute wollten sie ursprünglich nur kurz hier bleiben und kamen dann von heute auf morgen nicht mehr zurück in ihr Land.
Draga, Du bist 1991 in die Schweiz gekommen. Wieso hast Du damals dein Land verlassen?
Draga: Nach meiner bestandenen Aufnahmeprüfung wollte ich vor dem Studium noch ein bisschen in der Schweiz arbeiten und in einem Frisörladen Geld verdienen. Mitte Juni 1991, das weiß ich noch, kam ich hier an. Ab September ´91 gab es keinen Weg mehr zurück nach Jugoslawien. Alles war versperrt durch den Krieg. Kurz danach habe ich meinen Mann getroffen, ihn geheiratet und bin geblieben.
Velibor, du lebst seit 1990 in der Schweiz. Dachtest du auch, dass du nur kurz bleiben würdest?
Velibor: Ja, ich wollte 2,3 Jahre arbeiten und dann wieder zurückgehen. Aber dann kam der Krieg, und ich bin geblieben. Bis heute bin ich in derselben Firma, in der ich damals auch angefangen habe.
Gab es in Euren Familien einen Zastava?
Draga: Ja, mein Onkel hatte einen Fica. Er hat uns immer herum gefahren, zu jedem Fest. Wir haben uns teilweise mit sechs, sieben Personen reingequetscht. Es gab da eine lustige Begebenheit im Winter: Er hatte für den Fica eine Garage, die war vielleicht 100 Meter vom Haus entfernt. Einmal, es war Winter und tiefer Schnee, kam er ohne Jacke nach Hause. Wir Kinder, vielleicht 13 Jahre alt, waren neugierig und haben uns gefragt: Wieso kommt der ohne Jacke nach Hause? Ich habe seine Tochter gefragt: Ist dir das aufgefallen, dass er ohne Jacke unterwegs ist? Es war sehr kalt an dem Tag. Und wir sahen nur eine Fußspur von der Garage zum Haus. Das Auto hatte er also gar nicht bewegt, die Straßen waren auch nicht gekehrt oder gestreut. Wir haben uns dann zur Garage geschlichen. Ich weiß noch, es war sehr neblig. Als wir ins Auto schauten, sahen wir eine hübsche, junge Frau liegen, schlafend, zugedeckt mit der dicken Eisenbahnerjacke meines Onkels. Er hatte dort seine Liebhaberin versteckt!
Velibor: Mein Vater hatte immer eine Zastava gehabt. Erst den 128, dann den 130er, einen etwas größeren. Er ist bis zu seinem Tod immer Zastava gefahren.
Hat der Zastava für euch heute noch eine emotionale Bedeutung, wenn ihr ihn auf der Straße seht?
Velibor: Ja, das kann man sagen.
Draga: Die Cousine von meinem Mann war hier zu Besuch vor zwei Jahren im Dezember. Wir waren mit ihr in Seefeld und da stand ein Fiat. Sie war völlig aus dem Häuschen. „Da steht ein Fica!“, hat sie gerufen. „Da hat jemand einen Fica!“ Das war natürlich eine Verwechslung.
Velibor: Ja, man sieht hier immer mal wieder einen Zastava auf der Straße aber es ist sehr selten geworden
Ihr seit damals aus einem einheitlichen Jugoslawien weggegangen. Fühlt ihr euch heute als Jugoslawen oder Montenegriner?
Draga: Wenn jemand mich fragt, welche Sprache ich spreche, sage ich serbisch-kroatisch. Das bleibt immer. Die Kroaten sagen jetzt, wir sprechen kroatisch, die Montenegriner sprechen jetzt plötzlich montenegrinisch, die Bosnier bosnisch... für mich existiert das nicht. Es bleibt für mich das, was es war – serbo-kroatisch.
Wir kennen sehr viele Leute aus Ex-Jugoslawien. Alle sagen, am schönsten war es vor dem Krieg. Jetzt ist es nirgendwo gut. Früher gab es keine obere und untere Schicht. Alle waren gleich. Jeder hatte seine Wohnung oder sein Haus. Jeder hatte einen guten Lohn.
Velibor: Wenn man zum Beispiel angestellt war in einer Firma, dann wurden 20 Franken, das waren damals 2 Dinar, einbehalten. Dafür hat man dann von der Firma eine Wohnung oder ein Haus bekommen. Das gehörte einem auch dann noch, wenn man die Firma verlassen hatte. Das war wirklich ein gutes System.Und wenn einer angestellt war, dann war seine ganze Familie auch über ihn versichert. Nicht wie in der Schweiz: hier zahlt jeder seine Versicherung selbst.
Wir haben festgestellt, dass viele, die in den 80 Jahren aus Jugoslawien in die Schweiz gekommen sind gar nicht so genau wissen, wohin sie eigentlich gehören, die Schweiz, Jugoslawien oder Bosnien oder Serbien. Geht es euch auch so?
Draga: Ja, wir wissen nicht, was wir sind in Montenegro. Alles ist fremd. Für uns zwei ist alles fremd. Die neue montenegrinische Fahne können wir noch nicht akzeptieren, Montenegro können wir noch nicht akzeptieren. Für uns war alles zusammen, als wir gegangen sind und in uns ist das so geblieben.
Velibor: Wenn man aufgewachsen ist in einem Land, in dem alle gut zusammen gelebt haben und dann ist plötzlich alles anders, dann fühlst du dich nicht mehr komplett. Es gibt jetzt eine Republik Montenegro, aber das ist nicht mehr das Land, das ich kenne.
Draga: Was mir gefällt an eurem Projekt, das ist dieser Begriff Yugo. „Jugo“ galt ja mal als rassistisches Wort in der Schweiz. Ihr dürft das benutzen, wir erlauben euch, das Wort zu benutzen. Und wir dürfen es sagen, wir dürfen es laut sagen. Für mich ist es gar kein rassistisches Wort mehr. Warum sollte es jemanden verletzen? Was ist geblieben von Jugoslawien? Es ist dieses „Jugo“. Wir sind „Jugos“. Und diese Bezeichnung und dieses Auto verbinden das super. Das ist für mich das Besondere am Projekt, diese Verbindung Yugo-Jugo. Wenn ihr jemals ein Theaterstück mit dem Auto macht, dann muss es aber ein Yugo sein, kein Stojadin.