Ausgerechnet heute öffnet der Himmel seine Schleusen. Alles um uns ist grau, und es hat sich „eingeregnet“, wie man so sagt. Ein Nebeltuch liegt im Tal, von der Stadt ist so gut wie nichts mehr zu erkennen. Wir sind mit Muhamed Gandura auf dem Hönggerberg in Zürich verabredet. Er hat als Treffpunkt das Restaurant „Die Waid“ vorgeschlagen. Man merkt, dass er Filmfan ist und das Business kennt: Hier oben hätten bei Sonnenschein spektakuläre Bilder entstehen können. So können wir uns auf der überdachten Restaurantterrasse ganz unserem Interviewpartner widmen, der uns von Dingen erzählt, die sich kein Romancier besser ausdenken kann.
Das erste, was uns an ihm auffällt, als er uns am Straßenrand zuwinkt, sind seine langen, durch den Wind aufgefächerten schwarzen Haare, die kaum eine Spur von Grau zeigen. Er ist sehr groß, fast 2 Meter, eine Erscheinung. Seine Ähnlichkeit mit Emir Kusturica ist frappierend. „Ja, das stimmt“, sagt er, „ich bin schon hin und wieder um ein Autogramm gebeten worden. Ich habe natürlich nie gesagt, dass es sich um eine Verwechslung handelt“. Dies ist nur der Ausgangspunkt eines Geschichtensturms, der fortan über uns wehen wird. Wir haben gar nicht die Zeit, uns zu fragen, ob das alles frei erfunden oder tatsächlich so passiert ist. Wahrscheinlich hält er uns hier und da zum Narren, aber wir sind immer zu haben für eine gute Story.
Muhamed kam 1968 als 18jähriger in die Schweiz, hat in vielen Jobs gearbeitet, reiste durch die Welt und versuchte sich als Schauspieler. In den letzten Jahren bekam er kleine Rollen bei Paolo Sorrentino und in „James Bond: Ein Quantum Trost“. Als Zweijähriger schon hatte er in Bosnien das erste Mal mit seiner Mutter vor der Kamera gestanden, als Werbegesicht für eine neuartige Plastiktasche von Jugoplastika. 1952 war das. „Die haben uns damals noch mit dem Fiaker zum Shooting abgeholt, mich, meine Mutter und meinen damals 114-jährigen Großvater.“ Später hat er in Sarajevo Filme gezeigt und damit als Schüler viel Geld verdient. In den ersten Jahren in der Schweiz arbeitete er unter anderem als Handmodell für eine Schweizer Agentur. Moment, Handmodell? Wir müssen erst einmal durchschnaufen. Soll das stimmen? Eine Kurzrecherche ergibt: ja, es könnte sein.
Zum Zastava hat Muhamed Gandura keinen großen Bezug. Seine Familie ist durchweg hoch gewachsen und passt eher schwer in einen Yugo, geschweige denn in einen Fica. Er hat sichtlich Schwierigkeiten, seine 1,96 Meter in unseren Stojadin zu bewegen , als wir ihn ein Stück mitnehmen. In Jugoslawien hätte er sich ausschließlich in geräumigen Taxis fortbewegt. Die kamen damals bereits aus westlicher Fabrikation.
Muhamed wurde 1950 in Sarajevo geboren. Sein Vater leitete in den 60er Jahren einen Betrieb dort. Als eines Tages Funktionäre auftauchten und eigenartige Entscheidungen trafen, warf er das Handtuch, die Familie packte ihre Habseligkeiten zusammen und zog gen Westen. „Wir kamen am 18. Oktober 1968 in die Schweiz.“ Wie so viele unserer InterviewpartnerInnen kann sich Muhamed an den genauen Tag seiner Einreise erinnern. Er fand Arbeit bei der BBC Turbomaschinenfabrik in Zürich und blieb. „Ich habe schon eine jugoslawische Identität, da bin ich aufgewachsen, obwohl meine Familie eigentlich aus Mekka stammt, im heutigen Saudi-Arabien.“ Die Geschichte seiner Familie ist die einer ständigen Emigration. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam sie nach Ägypten, litt unter der britischen Besatzung und ging 1888 nach Dubrovnik. Während des Ersten Weltkriegs wanderte sie weiter nach Sarajevo. Sein Großvater Halid Gandura (1838-1958) hat das alles mitgemacht. Er erlebte die britische Besatzung in Ägypten, das Osmanische Reich auf dem Balkan, die Vertreibung der Österreicher, die Ausrufung des Königreichs Jugoslawien, den Ersten und Zweiten Weltkrieg, die Gründung der Volksrepublik Jugoslawien durch Tito. Seine Biographie füllt mehrere Geschichtsbücher, über unglaubliche 120 Jahre hinweg.
Muhamed selbst sei ein direkter Nachfahre des Propheten Mohammeds, in der vierzigsten Generation. „Dafür habe ich Beweise. Es existieren Papiere, die das belegen. Wir haben die Anerkennung bei König Salman eingereicht.“
Stunden später, nach Erzählungen über den Fürst von Liechtenstein, kriegerische Auseinandersetzungen in Beirut, das mysteriöse Verschwinden eines Hochstaplerpärchens oder das Zusammentreffen mit der Tochter des letzten Schah von Iran, haben wir den Zastava längst vergessen. Für Muhamed ist er ohnehin nur eine uninteressante Randnotiz und Jugoslawien ein Baustein von vielen in einer überbordenden Familiengeschichte.
Ausgerechnet heute öffnet der Himmel seine Schleusen. Alles um uns ist grau, und es hat sich „eingeregnet“, wie man so sagt. Ein Nebeltuch liegt im Tal, von der Stadt ist so gut wie nichts mehr zu erkennen. Wir sind mit Muhamed Gandura auf dem Hönggerberg in Zürich verabredet. Er hat als Treffpunkt das Restaurant „Die Waid“ vorgeschlagen. Man merkt, dass er Filmfan ist und das Business kennt: Hier oben hätten bei Sonnenschein spektakuläre Bilder entstehen können. So können wir uns auf der überdachten Restaurantterrasse ganz unserem Interviewpartner widmen, der uns von Dingen erzählt, die sich kein Romancier besser ausdenken kann.
Das erste, was uns an ihm auffällt, als er uns am Straßenrand zuwinkt, sind seine langen, durch den Wind aufgefächerten schwarzen Haare, die kaum eine Spur von Grau zeigen. Er ist sehr groß, fast 2 Meter, eine Erscheinung. Seine Ähnlichkeit mit Emir Kusturica ist frappierend. „Ja, das stimmt“, sagt er, „ich bin schon hin und wieder um ein Autogramm gebeten worden. Ich habe natürlich nie gesagt, dass es sich um eine Verwechslung handelt“. Dies ist nur der Ausgangspunkt eines Geschichtensturms, der fortan über uns wehen wird. Wir haben gar nicht die Zeit, uns zu fragen, ob das alles frei erfunden oder tatsächlich so passiert ist. Wahrscheinlich hält er uns hier und da zum Narren, aber wir sind immer zu haben für eine gute Story.
Muhamed kam 1968 als 18jähriger in die Schweiz, hat in vielen Jobs gearbeitet, reiste durch die Welt und versuchte sich als Schauspieler. In den letzten Jahren bekam er kleine Rollen bei Paolo Sorrentino und in „James Bond: Ein Quantum Trost“. Als Zweijähriger schon hatte er in Bosnien das erste Mal mit seiner Mutter vor der Kamera gestanden, als Werbegesicht für eine neuartige Plastiktasche von Jugoplastika. 1952 war das. „Die haben uns damals noch mit dem Fiaker zum Shooting abgeholt, mich, meine Mutter und meinen damals 114-jährigen Großvater.“ Später hat er in Sarajevo Filme gezeigt und damit als Schüler viel Geld verdient. In den ersten Jahren in der Schweiz arbeitete er unter anderem als Handmodell für eine Schweizer Agentur. Moment, Handmodell? Wir müssen erst einmal durchschnaufen. Soll das stimmen? Eine Kurzrecherche ergibt: ja, es könnte sein.
Zum Zastava hat Muhamed Gandura keinen großen Bezug. Seine Familie ist durchweg hoch gewachsen und passt eher schwer in einen Yugo, geschweige denn in einen Fica. Er hat sichtlich Schwierigkeiten, seine 1,96 Meter in unseren Stojadin zu bewegen , als wir ihn ein Stück mitnehmen. In Jugoslawien hätte er sich ausschließlich in geräumigen Taxis fortbewegt. Die kamen damals bereits aus westlicher Fabrikation.
Muhamed wurde 1950 in Sarajevo geboren. Sein Vater leitete in den 60er Jahren einen Betrieb dort. Als eines Tages Funktionäre auftauchten und eigenartige Entscheidungen trafen, warf er das Handtuch, die Familie packte ihre Habseligkeiten zusammen und zog gen Westen. „Wir kamen am 18. Oktober 1968 in die Schweiz.“ Wie so viele unserer InterviewpartnerInnen kann sich Muhamed an den genauen Tag seiner Einreise erinnern. Er fand Arbeit bei der BBC Turbomaschinenfabrik in Zürich und blieb. „Ich habe schon eine jugoslawische Identität, da bin ich aufgewachsen, obwohl meine Familie eigentlich aus Mekka stammt, im heutigen Saudi-Arabien.“ Die Geschichte seiner Familie ist die einer ständigen Emigration. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam sie nach Ägypten, litt unter der britischen Besatzung und ging 1888 nach Dubrovnik. Während des Ersten Weltkriegs wanderte sie weiter nach Sarajevo. Sein Großvater Halid Gandura (1838-1958) hat das alles mitgemacht. Er erlebte die britische Besatzung in Ägypten, das Osmanische Reich auf dem Balkan, die Vertreibung der Österreicher, die Ausrufung des Königreichs Jugoslawien, den Ersten und Zweiten Weltkrieg, die Gründung der Volksrepublik Jugoslawien durch Tito. Seine Biographie füllt mehrere Geschichtsbücher, über unglaubliche 120 Jahre hinweg.
Muhamed selbst sei ein direkter Nachfahre des Propheten Mohammeds, in der vierzigsten Generation. „Dafür habe ich Beweise. Es existieren Papiere, die das belegen. Wir haben die Anerkennung bei König Salman eingereicht.“
Stunden später, nach Erzählungen über den Fürst von Liechtenstein, kriegerische Auseinandersetzungen in Beirut, das mysteriöse Verschwinden eines Hochstaplerpärchens oder das Zusammentreffen mit der Tochter des letzten Schah von Iran, haben wir den Zastava längst vergessen. Für Muhamed ist er ohnehin nur eine uninteressante Randnotiz und Jugoslawien ein Baustein von vielen in einer überbordenden Familiengeschichte.